Exposé der Magisterarbeit "Die gesellschaftliche Konstruktion des Rechtsextremismus"

 

Die im Frühjahr 1999 fertiggestellte Magisterarbeit "Die gesellschaftliche Konstruktion des Rechtsextremismus" beschäftigt sich mit Konstitutions- und Verfestigungsprozessen von als rechtsextremistisch definierten Denk- und Handlungsmustern. Das bedeutet, es geht in dieser Arbeit mehr um das Wie von Entwicklungswegen, die den Einzelnen in eine "rechtsextremistische Welt" hineinbringen und weniger um ein Warum im Sinne von Ursachenanalysen (wie sie sich in der Literatur finden und häufig einen eindimensionalen Charakter aufweisen).

Im Zentrum der Arbeit steht die Leithypothese:

"Wie entstehen bestimmte Vorstellungen von Realität bei Menschen, die definitionsgemäß als rechtsextrem zu bezeichnen sind und welche Objektivationen im Sinne von Institutionen und Legitimationen bilden sich aufgrunddessen?"

Die Arbeit basiert auf einem Klassiker der Wissensoziologie von Peter L. Berger und Thomas Luckmann: "Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit" und versucht die drei wichtigsten Theoriefragmente Sozialisation, Institutionalisierung und Legitimation auf den Gegenstandsbereich, genauer gesagt den Innenbereich einer "rechtsextremistischen Welt", anzuwenden.

Zwei Hauptabschnitte untergliedert die Arbeit: der erste Abschnitt behandelt die theoretischen Grundlagen des Themas: Begriffsdefinition, ideologische Grundlagen, systematische und organisationssoziologische Bestimmung des Gegenstandsbereichs, Diskussion etablierter Theorien und Erläuterung der "zugrundegelegten Theorie". Im zweiten Abschnitt werden die theoretischen Grundlagen auf den Innenbereich des Rechtsextremismus angewandt, indem primäre und sekundäre Sozialisationsprozesse der Entwicklung von rechtsextremistischen Weltanschauungen und Verhaltensweisen aufgezeigt werden sowie Institutionalisierungs- und dazugehörige Legitimationsprozesse aus drei unterschiedlichen Bereichen (Alltag, Politik, "Wissenschaft") bestimmt und analysiert werden.

Ergebnisse:

Die Sozialisierung in eine rechtsextremistische Welt vollzieht sich zumeist schrittweise und wird von den "Betroffenen" selten im Sinne eines biographischen Bruchs, sondern als mit dem vergangenen Leben übereinstimmend gesehen. Ursachen für den Beginn derartiger Prozesse sind mehr im affektiv-emotionalen Bereich, weniger im soziologischen Bereich zu finden. Es zeigt sich, dass die wichtigsten Komponenten einer affektiv-emotionalen Grundstimmung "Konventionalismus", "Autoritäre Unterwürfigkeit" und "Autoritäre Aggression" sind (wie es bereits Horkheimer/Adorno in ihrem Werk zur "Autoritären Persönlichkeit" aufzeigen konnten).In bezug auf sekundäre Sozialisationsprozesse spielen Kontinuität und Ähnlichkeit zum vergangenen Leben bzw. Bekanntschaften und Beziehungen sowie Konfrontationen mit vermeintlichen Gegnern eine entscheidende Rolle für weitere Verfestigungsprozesse.
Auch auf der Ebene der Institutionalisierung spielen solche (für Rechtsextremisten) Objektivationen eine Rolle, die Kontinuität, Ähnlichkeit und Konfrontation auf gesellschaftlicher Ebene betonen. Hier sind die Institutionen des Gegners und der Gemeinschaft von ausschlaggebender Bedeutung, die sich an unterschiedlichen Gegenstandsbereichen, Symbolen und Gruppen von Menschen festmachen und die mit unterschiedlichen Rollenzuschreibungen und Rollenverhalten verbunden sind (das "Opfer", der "Märtyrer", der "Befreiungskämpfer" auf der einen, der "Schmarotzer", der "Scheinasylant", der "kriminelle Ausländer" auf der anderen Seite).
Legitimationen für rechtsextremistische Konzepte bzw. Institutionen finden sich auf unterschiedlichen Ebenen, z.B. innerhalb der jugendlichen Skinheadsprache, politischer Parolen und (pseudo)-wissenschaftlicher Traktate.

Empirische Grundlagen für die Analysen im zweiten Abschnitt sind rechtsextremistische Literatur und Zeitschriften, Liedertexte von Skinheadbands und eines Liedermachers, Protokolle zweier von mir besuchter Parteiveranstaltungen der Republikaner und der NPD am 14. November 1997 und am 27. Februar 1998 sowie ein Interview mit dem damaligen Jugendgruppenleiter der Republikaner in Berlin am 13. August 1998.

Auch wenn sich in der rechtsextremistischen Szene einiges Neues ergeben hat, so sind die bereits vor zwei Jahren in der Magisterarbeit gezogenen Schlussfolgerungen auch heute von Relevanz. Beispielsweise sind die in der Arbeit aufgezeigten Veränderungen bestimmter rechter Institutionen: Hervorhebung des "Problems" Ausländerkriminalität, Umdeutung des Einstellungsschemas rechts/links in prodeutsch/antideutsch, Weiterentwicklung eines Kulturrassismus bzw. Ethnopluralismus statt des klassischen Kolonialrassismus, Eurozentrismus statt strikter Nationalismus nach wie vor von hoher Aktualität.
Selbst trotzt begrüßenswerter gesellschaftlicher und politischer Entwicklungen auf "mehr Integration" von Ausländern bzw. auf eine allgemeine Mentalitätsveränderung gegenüber Ausländern, sind Gefahren dafür gegeben, dass rechte Denk- bzw. Gesellschaftskonzepte mehr und mehr Anklang finden. Diese sind auch den auf den ersten Blick positiven Entwicklungen immanent: z.B. wenn bei der Greencard-Diskussion der "nützliche, brauchbare Ausländer" in den Mittelpunkt der politischen und gesellschaftlichen Bestrebungen gestellt wird, wird dadurch fast zwangsläufig und gleichzeitig der "unnütze und unbrauchbare Ausländer" als (verschwommenes) Bild im Hintergrund erzeugt.

Meine Arbeit soll einerseits einen Überblick über die rechtsextremistische Szene bieten, anderseits soll sie - integriert in eine recht weitgefasste gesellschaftliche Theorie - einen Ansatz zur weiteren Beobachtung und Analyse rechter Denk- und Verhaltenskonzepte bereitstellen.

 

Thomas Behne, 01.07.2001


Zurück